Dürfen Frauen wütend sein?

Analog zur Ausstellung 'Like Water' hat sich die Stiftung wissensART mit dem Thema Wut und Weiblichkeit auseinandergesetzt, und sich die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz und Verantwortung von Kunst und Kultur gestellt. Ist ein vielleicht radikalerer Blick mittels neuer Sichtweisen notwendig, um die Ursachen, die Wut provozieren, benennen und noch entschiedener kritisieren zu können? Auch und gerade in Geschlechter-Beziehungen. Ob Wut im Verhältnis zur Weiblichkeit - nicht nur für künstlerische Artikulationen - eine Antriebskraft sein kann, sondern darüber hinaus für gesellschaftliche Interventionen. Ein Essay zur Ausstellung.

Eine Frage, die für Frauen existenziell sein kann, gerade in einer Welt gesellschaftlicher Umbrüche.

Sich einen „Zugang zum Verhältnis von Weiblichkeit und Wut“ mittels „ausgewählter künstlerischer Positionen“ zu schaffen, wie von den Ausstellungsmacherinnen formuliert, hat die Stiftung wissensArt bewogen, das Projekt mit zu fördern. Interessiert an neuen Sichtweisen und Erweiterungen des Erkenntnishorizonts erachtet sie es als notwendig, Ursachen von Wut zu benennen bzw. zu zeigen. Auch und gerade in Geschlechter-Beziehungen.Und im Hinblick auf die Folgen, was Weiblichkeit betrifft.  Ob Wut im Verhältnis zur Weiblichkeit eine Antriebskraft sein kann, nicht nur für künstlerische Artikulationen, sondern für gesellschaftliche Interventionen, ist ein Themenkomplex, mit dem sich die Stiftung wissensART auseinandersetzt.

Kann Wut sexy sein? Das kommt ganz auf den Standpunkt an. Männern wird dieses Privileg zugestanden, Frauen nicht. Gemeinhin unterdrücken Frauen ihre Wut. Ciani-Sophia Hoeder urteilt in ihrem Buch „Wut und Böse“, Frauen, die ihrer Wut freien Lauf liessen, hätten schnell einen schlechten Ruf. Wut werde mit Yoga, Meditation und einem fast schon neurotischen Self-Care-Hype wegmeditiert, so die Journalistin, Kolumnistin und Geschäftsführerin des Online-Magazins RosaMag. Dabei seien die Folgen „von internalisierter Wut desaströs. Essstörungen, Selbstverletzungen, Kopfschmerzen, ein mangelndes Selbstwertgefühl, erhöhte Angstzustände, Burn-out, Depressionen ….. .“ Wer nie wütend sei, akzeptiere die Welt, wie sie ist.

Im Bereich der Kunst sehen sich Frauen seit jeher und immer noch mit Nachteilen konfrontiert, wie Britta Jürgs, Verlegerin des Aviva Verlages, im Vorwort des Buches „Leider habe ich das Fliegen ganz verlernt“, schreibt: „So fortschrittlich die Künstlerinnen und Schriftstellerinnen und ihre Heldinnen in ihren Berufen waren, so sehr waren sie selbst doch oft noch traditionellen Vorstellungen und Weiblichkeitsbildern verhaftet, was Ehe und Familie anging.“ In eben jenem Buch macht Jane Kienle auf den Kunstkritiker Hugo Sieker aufmerksam, der über die Kunst der Künstlerin Anita Rée schrieb: „In Summa: die Bestimmung der Frau ist reif zu sein. Die des Mannes: Besitz zu erwerben.“ Damit reproduziere er die „traditionell-konservative Ansicht der geschlechtsspezifischen Attribution, welche der Frau die Natur und dem Mann die Ratio als wesensbestimmend zuweist“.

Die Pariser Graffiti-Künstlerin Miss.Tic empfindet das Milieu der Malerei auch heute noch als sehr machohaft. „Zumindest in Europa verkauft sich im Vergleich zur Literatur von Frauen geschaffene Malerei heute immer noch nicht. Man muss nur in Galerien gehen und sich die Verhältnismäßigkeit anschauen, wie viele Bilder von Frauen und wie viele von Männern gemalt sind.“ Allerdings seien die Frauen selbst dafür verantwortlich. „Alle meine Mitstreiterinnen, die künstlerisch unterwegs waren, haben aufgegeben, weil sie geheiratet und Kinder bekommen haben.“

Gerade Künstlerinnen haben für ihre Unterwerfung unter gesellschaftliche Rollenvorschriften und männliches Herrschaftsgebaren große Opfer gebracht. Dabei blieb ihnen zumeist die Rolle der Muse bzw. der Geliebten. Erst langsam wird ihre visionäre Inspiration für die Kunst gewürdigt. Das tun die Urenkelinnen von Gabriele Buffet-Picabia in ihrem Buch „Ein Leben für die Avantgarde“. Anne und Claire Berest zeichnen den Lebensweg ihrer Urgroßmutter nach, die Francis Picabia dazu brachte, seine Malerei als Musik zu denken und die als „Frau mit dem erotischen Blick“ unter anderem Marcel Duchamp und Guillaume Appolinaire dazu brachte, ihr zu Füßen zu liegen. Aber natürlich mit der Konsequenz, dass die Männer weltbekannt, die Frau aber diese Bekanntheit nicht erreichen konnte.

Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen, wie zum Beispiel die Künstlerin Niki de Saint Phalle, die mit ihren poppig-drallen Nana-Figuren weltberühmt geworden ist. Die wenigsten Betrachter*Innen werden wissen, dass sie ihre Kreativität in der Psychiatrie entdeckt hat. Für sie war die Malerei das Medium, um das Trauma des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater zu verarbeiten.

Was folgt daraus? Was heißt es, wenn Virginie Despentes in „King Kong Theorie“ schreibt, der Feminismus sei eine Revolution, bei der es nicht darum gehe, die kleinen Vorteile, die den Frauen eingeräumt würden, gegen die kleinen Errungenschaften der Männer aufzuwiegen, „sondern in der Tat darum, alles platzen zu lassen“. „Rebellion kann weiblich sein“, betitelte die Zeit zur Wirkung von Pussy Riot, „die nicht nur gegen Putin, sondern auch gegen eine männliche Popkultur“ protestierten, weshalb sich die Kritik kaum mit ihrer Kunst auseinandersetzen würde.

Wut und Weiblichkeit sollten sich nicht ausschließen. Wut ist ein kraftvolles Gefühl, das, wenn es offenbart wird, Potential hat, gesellschaftliche Umbrüche herbeizuführen. Insofern sollten und müssen Frauen wütend sein.

Text: KP Flügel/ Foto: Marita Brinkmann