Eine Graffiti-Geschichte aus Amsterdam
Sie war eine von drei Sprayerinnen, die Anfang der 80er Jahre in Amsterdam die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Valeska Meist, alias Vampirella, war damals 13 Jahre alt. Inspiriert von der Punk- und Hip-Hop-Kultur hat sie später ihre erlernten Fähigkeiten aus der Grafikschule anderweitig genutzt. Mit Hilfe anderer Sprayer gelangte sie illegal auf verschlossene Bahngelände in der niederländischen Metropole und begann dort zu sprühen. 40 Jahre später ist sie auf dem Cover des Katalogs der Ausstellung „Illegal“ abgebildet, die im Historischen Museum Saar vom 18.5.2024 bis zum 23.2.2025 zu sehen ist. Aufgenommen wurde das Foto 1985 im Amsterdamer Vondelpark, unter der Vondelbrücke. Damals war Valesca 18 Jahre alt.
Marita Brinkmann hat Valesca Meist nach ihren Erinnerungen als „Vampirella“ befragt und danach, was sie heute macht.
Foto: Vampirella vor ihrem Piece von 1985 in der Ausstellung ‚Illegal‘ Foto: KP Flügel
Du bist auf dem Cover des Katalogs zu dieser Ausstellung zu sehen. Wie gefällt Dir das? Glaubst Du, dass Dir mit dieser Ausstellung eine späte Ehre zuteilwird?
Es ist schon komisch. Für mich fühlt es sich so an, als wäre ich nur drei Sekunden lang im Graffiti gewesen. Das ist aber nicht wahr. Ich war ein paar Jahre lang dabei, aber es fühlt sich rückblickend an wie ein winziger Moment. Jetzt habe ich es auf das Cover des Ausstellungskataloges geschafft mit all diesen großen Leuten, die historische Figuren sind. Das ist eine unglaubliche Ehre und auch eine Art Zufall, denn das Bild illustriert den Namen der Ausstellung, weil die Polizei auf dem Bild zu sehen ist. Ein lustiger Zufall. Natürlich fühle ich mich geehrt.
Etwas Illegales zu tun, gab Dir das einen besonderen Kick?
Zap, ein Freund von mir, hatte einen Schlüssel zum U-Bahn-System und wir erkundeten das Depot und schrieben dort herum. Das gab mir einen Kick. Nachts in geschlossenen Bahnhöfen zu sein, über die Gleise zu kriechen, um sich vor Kameras zu verstecken, ja, das war aufregend.
Am Anfang der 80er, noch während der Punk-Ära, war ich 13 und benutzte den Namen Perenix. Ich schrieb nur mit Markern. 1981 hatte ich einen Unfall in der Halfpipe beim Rollerskaten. Ich verlor meine Vorderzähne und weil ich so aussah, bekam ich den Spitznamen Vampirella, der später zu Vampi abgekürzt wurde.
Wiederum einige Zeit später wurde ich, wie viele andere, von der Hip-Hop-Kultur inspiriert, außerdem war ich in der Grafikschule, in der auch viele Graffiti-Writer waren. Es war eine aufregende und inspirierende Atmosphäre.
Sprühdosen waren viel zu teuer für einen Teenager, also musste man sie klauen. Das war nicht mein Hobby und machte mir Angst. Ich hatte das Gefühl, dass das Sprühen von Graffiti weniger beängstigend und irgendwie weniger illegal war als das Stehlen von Sprühdosen.
Wer oder was hat Dich überhaupt dazu inspiriert, Graffiti zu machen? Wie kann man sich Amsterdam zu dieser Zeit vorstellen? Was wolltet ihr mit euren Graffiti ausdrücken?
Amsterdam war Anfang der achtziger Jahre aufregend. Hausbesetzungen waren an der Tagesordnung. Ich bin in einem ehemals besetzten Schulgebäude aufgewachsen, es gab viele Junkies, aber auch eine Menge aufregender Dinge. Punk-Konzerte im Paradiso, Krawalle, wenn Hausbesetzungen aufgelöst wurden, kostenlose Konzerte im Vondelpark. Graffiti schienen in dieser Umgebung ganz selbstverständlich zu sein. Es kam nicht auf den künstlerischen Ausdruck an. Das war nicht so wichtig, eher war es wohl ein Ausdruck von Pubertät. Wir haben experimentiert und Graffiti war auch ein Teil davon.
Warum hast Du nur so eine kurze Zeit Graffiti gemacht?
Weil ich so viele andere Interessen hatte. Ich stand auf Skateboarding. Ich mochte Rollschuhlaufen. Kurz nachdem dieses Bild aufgenommen wurde, begann ich bereits als Dekorationsmalerin zu arbeiten
Was kann man über das Thema Frau und Graffiti zu dieser Zeit sagen? War es schwierig? Welche Erfahrungen hast Du gemacht?
Nun, ja, ich denke schon. Es gab eine Menge frauenfeindlicher Einstellungen. Damals und auch heute noch.
Wie du in dem Buch sehen kannst, gibt es ein weiteres Bild, auf dem Hure auf dem Gesicht steht, das ich gemacht habe. Wenn du genau hinsiehst, kannst du sehen, dass jemand HOER (Hure oder Nutte) auf ddarauf geschrieben hat. Auf dem Bild versuche ich es am Tag danach zu verdecken. Das Bild habe ich am nächsten Tag restauriert, um die Aufschrift zu verdecken. Ich weiß nicht, warum man mich eine Nutte genannt hat. Eine Nutte, weil ich offensichtlich nicht so hässlich war. Ist das wahr? Ja, das ist es. Natürlich denke ich, dass es oft auch mit Eifersucht zu tun hat, weil ich damals schon viel Aufmerksamkeit bekam, weil ich zu der Zeit eines von drei Mädchen war, die in Amsterdam Graffiti machten. Also denke ich, dass da auch Eifersucht im Spiel war.
War das der Grund, dass Du aufgehört hast Graffiti zu machen?
Nein, nein, nein, ganz und gar nicht. Es ist mir völlig egal. Du kannst mich nennen, wie du willst.
Woher kamen die Anfeindungen? Von den männlichen Sprayern, von der Öffentlichkeit oder von anderen Sprayern oder Sprayerinnen?
Niemals! Die anderen Mädchen sind meine Freunde! Die Feindseligkeit war gar nicht so schlimm. Das Bild auf dem Umschlag dieses Kataloges wurde am selben Tag aufgenommen wie das andere Bild. (Im Vondelpark) Ich schätze, da waren ein paar dumme Leute mit einem Marker und einem Feuerzeug unterwegs, die in der Queens Day (Königinnen-Tag) eifersüchtig und vielleicht auch betrunken waren.
Was machst Du heute?
Danach habe ich etwas zwei Jahre gearbeitet als Dekorationsmalerin für Werbung, habe Plakatwände und Autos bemalt. Ich war eine Art Bühnenbildnerin. Danach war ich 32 Jahre lang für Filme, Fernsehserien und Werbespots als Requisiteurin und Setdresser tätig.
Jetzt bin ich Skipper auf einem Boot. Ich bin ausgebrannt gewesen wie viele andere auch. Ich habe meinen Beruf gewechselt und bin sehr glücklich auf dem Boot. Ich fahre auf den Grachten inmitten Amsterdams und erzähle den Leuten etwas über die Geschichte der Stadt.