„In Gesprächen suche ich Auswege aus der Krise des Stillstands“

Timo Jacobs, Schauspieler, Regisseur, Autor und Produzent, zur Situation während der Corona-Zeit:

Was sind die essentiellen Eckpunkte, die Deine Identität als Künstler bzw. Kulturschaffender ausmachen?
Um das auszuüben, was dich als Künstlerin ausmacht, brauchst du das Material, die Möglichkeiten und die Inspiration sowie gutes Obst.

Wie hast Du reagiert, als der erste Lockdown verkündet wurde und von heute auf morgen alle kulturellen Präsens-Veranstaltungen abgesagt wurden?

Es war ein surreales Gefühl, wie wenn du im Hochsommer über Schnee gehst, vorsichtig und weich, fragwürdig wie Schnee. Die Stadt hat sich aufgelöst wie ein Schneeball im Backofen. Es war apokalyptisch und veränstigend, aber dennoch spannend.Ich habe die Zeit genutzt, um eine Serie zu drehen. Als Filmschaffender hatte ich zum Glück die Möglichkeit, die Zeit zu erforschen.

Bist Du mit der Art und Weise, wie die Hilfsmaßnahmen konzipiert und umgesetzt wurden, zufrieden gewesen oder nicht?
Ja, aber nicht komplett, nur teilweise. Teilweise auch überhaupt nicht. Es war nicht komplett gut, aber auch nicht völlig daneben.

Was hat die Corona Zeit mit Dir gemacht? Welche Auswirkungen hatte das „Nicht kreativ tätig sein können“ auf Deine Persönlichkeit? Oder bist Du im Gegenteil noch kreativer bzw. produktiver geworden?
Ach so, ja klar, ich habe doch eine Serie gedreht mit dem Titel: „Benches of Berlin – Schönheit der Krise“.

Der Titel ist Programm und erforscht die aktuelle Krisenzeit, stellt Künstler*innen Fragen. Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Was wollen wir erreichen und warum wollen wir das? Was treibt uns an?

In Gesprächen suche ich Auswege aus der Krise des Stillstands. Identifiziert mit hohem kindlichen Anteil erforsche ich Selbstwirksamkeit, um ein positiveres Weltbild zu erzielen. Nach dem Motto, ich habe am Diskutieren Vergnügen, solange ich niemanden überzeugen muss. Aber brauchen wir den Willen zu überzeugen, um überhaupt etwas zu schaffen? Ich möchte behaupten, dass sich nicht die Stärkeren oder die Klügeren entwickeln, sondern die Menschen, die auf Veränderungen reagieren. Kultur lässt uns wachsen und verbindet uns, ist logisch, nur noch nicht bei allen angekommen.

Hast Du Dich nach beruflichen Alternativen (temporär oder dauerhaft) umgeschaut?
Nein. Mein Beruf ist so weit gefächert und so komplex. Es fällt mir leider immer etwas ein, letztlich habe ich dann eher geschrieben und Stuff entwickelt.

Hattest Du Existenzängste? Wie sahen die genau aus?
Die sind hässlich und deswegen habe ich versucht, die Schönheit darin zu erkennen. Das hat teilweise sogar geklappt.

Hast Du Dich wertgeschätzt gefühlt?
Da habe ich eine gesunde Grundeinstellung, also natürlich kamen Zweifel, aber die klopfen ja immer an der Tür, kenne ich aber schon und lasse sie bei mir nicht die dicke Party feiern. Zu meinem Glück gehören die Selbstgefechte als Stilmittel zu meinem Schaffen.

Welche psychischen und persönlichen Fähigkeiten haben dir geholfen, dieses Moratorium zu bewältigen?
Das ist komplex und das muss ich immer wieder neu justieren, meinen Wünschen zu lauschen und versuchen, den Weg zu gehen, den ich für den richtigen halte. Das hört sich vielleicht allgemein an, kann aber auch genauso viel bedeuten. Ich gebe den gefühlten Verstimmungen Ausdruck. Als Schauspieler oder Filmschaffender findest du in jeder Krise Möglichkeiten. Das ist eine furchtbar wahre Plattitüde.

Wissen Sie: Warum sich Schauspieler wie Musiker in zwei Gruppen unterteilen lassen?

Es gibt die Bühnenjunkies und die Medienjunkies: Es gibt diejenigen, die ihr Schaffen auf die rauschhaften, aber vergänglichen magic Moments kaprizieren, während die anderen aufs Archiv setzen, also auf ein „Werk“, das der Nachwelt Zeugnis ihrer Existenz ablegen soll. Das liegt im Unterschied zwischen dem dionysischen und dem appolinischen Prinzip.

Apollon ist der Gott der klaren Geistigkeit und der Form und Ordnung. Er vertritt das aufklärerische Prinzip der Kontrollierbarkeit der Welt und der Welterkenntnis durch rationales Bewusstsein.

Dagegen steht Dionysos, der Gott des Weines, für das sinnliche, irrationale Erleben der Welt.

Meine Arbeit besteht immer an mir im Verhältnis zur Welt. Das dann noch in den Einklang zu bringen, das ist nun einmal das Leben, mit oder ohne Krise.

Ist diese Phase für dich vorbei?  Was hat sich in Deinem Selbstverständnis geändert?
Es gibt Zeiten da treffe ich einfach Entscheidungen und hinterfrage diese danach nicht mehr. Das sind meine Lieblingsphasen.

Aber es gibt auch viel Suchendes dazwischen, die Kunst birgt die Verantwortung auch die Zeit zu ertragen in der es gerade nicht sprudelt, ich kann immer in den Umständen die Schuld suchen, oder die Möglichkeiten finden.

Was sollte sich bezogen auf Deine existentielle Sicherheit/Sicherung ändern?
Ich wünsche mir immer von der Muse geküsst zu sein, aber was wirklich schon lange überfällig ist: Bedingungsloses Grundeinkommen. Also bedingungslos, wie bedingungslos.

Wie schaust Du in Deine Zukunft, hast Du Dich auf ein erneutes eventuelles Runterfahren kultureller Aktivitäten vorbereitet?
Wenn ich die Zukunft wirklich beeinflussen könnte durch meine Vorbereitungen, dann wäre ich Versicherungsvertreter.

Timo Jacobs ist ein deutscher Schauspieler, Regisseur, Autor und Produzent. Er dreht seit 2003 Filme, zunächst mit Kult-Regisseur Klaus Lemke, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler. Von 2016 bis 2020 war er als Kommissar Jan Michalski in der ZDF-Krimireihe Der Kriminalist an der Seite von Christian Berkel zu sehen. 2018 schrieb er zusammen mit Sam Martin das Drama „Stand up! Was bleibt, wenn alles weg ist“. Seit 2018 ist er Mitglied der Deutschen Filmakademie und seit 2021 Mitglied der Europäischen Filmakademie. 2022 produzierte er die Serie „Benches of Berlin – Schönheit der Krise“.

Foto: Kimi Palme/Gespräch: KP Flügel