Elina Penner mag Lesungen, wenn viel gesprochen und diskutiert wird

Ein Interview mit der Schriftstellerin Elina Penner, die am 26.1.2023 im Pavillon Hannover im Rahmen queer-feministischen Lesereihe 'Ninia stellt vor...' ihr Buch 'Nachtbeeren' vorstellt.

Wie wichtig ist Literatur für Sie?

Lesen an sich ist wahrscheinlich mit das Wichtigste in meinem Leben. Ich erwähne sehr oft den Moment, in dem ich meine Karte für die Bücherei in der 5. Klasse bekommen habe, vielleicht der wichtigste Moment in meinem Leben. Lehrkräfte und Bibliothekarinnen sind so ein riesiger Einfluss, um auch die Lust aufs Lesen irgendwie bei Kindern noch mal zu fördern, vor allem natürlich bei migrantischen Kindern, bei Arbeiterkindern, bei bildungsfernen Haushalten. Das alles trifft auch auf mich zu.

Ich war erst Anfang 30, als ich für mich eine Möglichkeit gesehen habe, überhaupt Autorin werden zu können. Es ist nicht etwas, wovon ich seit 20 Jahren träume, sondern ich sage dann immer: „Niemand musste mir diese Tür aufmachen, da ich nicht wusste, dass es diese Tür gibt.“ Also es war mir nicht bewusst, dass ich das hätte beruflich machen können. Das war fernab meiner Vorstellungskraft.

Wo war das, in welcher Stadt bekamen Sie Ihren Bibliotheksausweis?

Das war in der Nähe von Minden. Es ist ein schönes ländliches Gymnasium, und die Stadtbibliothek befindet sich direkt daneben. Das heißt, es ist, glaube ich, oft so bei Schulen. Das heißt, es gehörte dann wirklich so zum Alltag, dass man alle paar Monate in diese Bücherei gegangen ist und das richtig gelernt hat:  Wie sind Bücher angeordnet, wie findet man ein Buch? Das ging dann sehr, sehr schnell, dass ich durch die Kinderabteilung durch war. Und wir hatten so einen kleinen geheimen Deal. Ich glaube, ich bin spätestens irgendwie ab der sechsten oder siebten Klasse in der Erwachsenenabteilung gewesen und habe da dann angefangen alles zu lesen.

Welches war der auslösende Moment zu sagen jetzt schreibe ich?

Schreiben ist immer noch ein Privileg, weil es Zeit voraussetzt und bis zu einem gewissen Grad, wenn man jetzt nicht mit Stipendien überhäuft wird oder irgendwo ein Erbe rumliegen hat, müsste man ja diese Zeit irgendwo abzwacken von der sonstigen Erwerbsarbeit.

Für mich war dieser Punkt bei einem ganz regulären Mittagessen mit einer Bekannten, die Literaturagentin ist. Ich musste fragen, was muss man eigentlich machen, um ein Buch zu schreiben? Darauf hat sie eine wichtige Frage gestellt und das war: „Willst du ein Buch schreiben?“ Dann habe ich gesagt: „Glaube ja.“ Und dann wurde das alles sehr organisiert, fast schon nüchtern. Also das war wirklich so dieses Du musst dir ein Thema aussuchen, Du musst das pitchen, Du musst vielleicht ein kleines Exposé schreiben. Also bin ich nach Hause gegangen, habe erst mal Exposé gegoogelt, wie man das so macht und dann haben wir uns aneinander angenähert. Aber es war das Schreiben selber. Es hat irgendwie funktioniert. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich hier irgendwie wie die Protagonistin eine Metzgerlehre gemacht hätte. Das stimmt natürlich nicht. Ich habe im Studium auch immer Essays und Hausarbeiten und alles andere geschrieben und Artikel hier und da veröffentlicht. Aber es war nicht so, wie ich es von ganz vielen Leuten kenne, gerade aus Berlin, die diesem Traum hinterherlaufen und sagen, es gibt nichts anderes, das ist das Nonplusultra. Und ganz wichtig, ich habe mich auch nie als Journalistin gesehen. Ich habe mich immer als jemand gesehen, der schreibt, wirklich als Autorin oder Schriftstellerin. Also als Geschichtenerzählerin.

Sie haben in Berlin gelebt, sie leben jetzt im Ostwestfälischen?

Ja, genau. Seit ein paar Jahren.

Wie wichtig sind Ihnen kulturelle Szenerien? Der Austausch und Lesungen?

Austausch ist mir extrem wichtig, ich treffe sehr gerne auf Menschen, aber ich bin nicht das typischste Lesungspublikum.

Tatsächlich?

Ich würde auf Lesungen gehen, wenn ich das Buch schon gelesen habe, oder Fan bin. Das typische Lesepublikum, und das kann ich nach diesem Jahr sagen, geht hin, weil es nichts anderes zu tun hat. Das hört sich böse an, aber das meine ich nicht so. Das typische Lesungspublikum ist mindestens Ü 60, weiß, im Ruhestand, weiblich.

Am letzten Samstag durfte ich zum ersten Mal Fatma Aydemir, Sasha Salzmann und Laura Gehlhaar auf einer Bühne sehen. Und das war für mich, ganz davon abgesehen, dass es so ein Fan-Girl-Moment war, ganz schön bezeichnend, so klugen Menschen auch einfach beim Reden zuzuhören. Es war wundervoll. Ansonsten mag ich Lesungen, wenn viel gesprochen und diskutiert wird.

Ich gehe nicht unbedingt auf Lesungen, wenn fast nur gelesen wird. Das ist jetzt vielleicht ein Widerspruch, aber ich habe einige Lesungen in meinem Leben besuchen dürfen, die mich nachhaltig beeindruckt haben. Chimamanda Ngozi Adichie, damals auch noch im Kesselhaus. Das ist jetzt ein riesen Privileg. Hillary Clinton habe ich damals auch im Theater sehen dürfen. Zu solch Lesungen gehe ich gerne hin, wenn sich die Leute wirklich unterhalten. Das Buch lese ich meistens lieber selber allein. Aber mich interessiert schon vor allem die Person, die es geschrieben hat.

Die Lesereihe „Ninia stell vor“ im Pavillon Hannover nennt sich im Untertitel „queer-feministisch“. Macht es aus Ihrer Sicht einen Unterschied, welches Publikum bei einer Lesung anwesend ist?

Absolut. Ich finde, wenn es da nicht steht, fühlt man sich vielleicht auch nicht unbedingt eingeladen. Oder man fühlt sich vielleicht noch mehr in einem Safe Space. Laura Gehlhaar hat das so schön gesagt. Wenn zum Beispiel alleine auf der Internetseite oder auf der Broschüre das Zeichen für Gebärdensprache oder der Rollstuhl aufgedruckt ist, dann weiß sie, dass sie da rein kommt, dass sie auf Toilette gehen kann. Das sind Hinweise für Barrierefreiheit. Queer feministisch geht ja in eine ähnliche Richtung, dass die Inhalte abseits vom Heteronormativen sind.

In ‚Nachtbeeren‘ ist einer der Protagonisten homosexuell und dies in einer so bezeichnend homophoben Community wie die der Russlanddeutschen. Nach diversen Lesungen kamen schwule Russlanddeutsche auf mich zu, weil sie sich in meinem Buch zum ersten Mal gesehen gefühlt haben, dass sie keinen anderen schwulen Russlanddeutschen kennen. Und dass sie in ‚Nachtbeeren‘ zum ersten Mal über einen schwulen, russlanddeutschen Protagonisten lesen durften.

 

Das Gespräch führte KP Flügel, Stiftung Wissensart

Elina Penner liest im Pavillon Hannover am Donnerstag, 26.1.2023, im Rahmen der queer-feministischen Lesereihe „Ninia stellt vor….“ und führt im Anschluss an die Lesung ein Nachgespräch mit ihr.