Schriftsteller Nils Mohl: „Es wurden deutlich bescheuertere Bereiche noch viel absurder subventioniert.“

Schriftsteller Nils Mohl über seine Identität als Kulturschaffender während der Pandemie

Welches sind die essentiellen Eckpunkte, die Du für Deine Identität als Künstler bzw. Kulturschaffender formulieren würdest?

Ich bin Schriftsteller. Neben dem Schreiben bin ich normalerweise viel auf Lesereisen und gebe Workshops.

Wie hast Du reagiert, als der erste Lockdown verkündet wurde und von heute auf morgen alle kulturellen Präsenz-Veranstaltungen abgesagt wurden?

Niemand, der mir nahestand, ist zunächst krank oder hart betroffen gewesen. Der plötzliche Stillstand und der erste Lockdown im Frühling hatten etwas Surreales, auf sehr angenehme Art. Nach Jahren der pausenlosen Beschleunigung war das auch eine echte Wohltat. Und es war auch ein bisschen aufregend, muss ich zugeben, wie Neues erprobt wurde und normal zum Alltag wurde. Video-Konferenzen. Video-Lesungen. Der Thrill, etwas Historisches zu erleben, hat durchaus seinen Reiz, solange die Familie, Freunde und man selbst keine echte Not leidet.

Haben Dir die Corona-Soforthilfe-Maßnahmen geholfen? Hast Du weitere Unterstützungshilfen (z.B. Corona ALG 2) in Anspruch genommen?

Zunächst sehr. Mir sind alle Veranstaltungen weggebrochen. Ich habe 9.000 Euro bekommen. Später habe ich allerdings jeden Cent davon zurückzahlen müssen.

Bist Du mit der Art und Weise, wie die Hilfsmaßnahmen konzipiert und umgesetzt wurden, zufrieden gewesen oder nicht?

Das Wort Solo-Selbständiger ist damals ja erst so richtig erfunden worden. Und als solcher war man ja anfangs nicht so richtig auf dem Schirm. Später gab es dann eine Menge Programme, die echt geholfen haben. Aber es kommt mir jetzt auch ein bisschen albern vor, im Nachhinein diese Dinge mit dem heutigen Wissen zu bewerten. Ich als Laie kann mir sowieso nur schlecht ein Bild davon machen, was in dieser Ausnahmesituation damals hätte besser laufen können. Über Neustart Kultur ist jedenfalls eine Menge Geld in die Kulturlandschaft gepumpt worden. Wie immer in solchen Fällen kommt nicht immer alles zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle an. Aber der Effekt war schon interessant: Es gab gut geförderte und manchmal sehr skurrile Veranstaltungen. Ich erinnere mich an eine Lesung mit vier Kollegen und Kolleginnen, bei der uns ein Mensch und ein Hund im Publikum zugeschaut haben. Dennoch würde ich behaupten: Es wurden deutlich bescheuertere Bereiche noch viel absurder subventioniert. Bei uns geht es ja immer um verhältnismäßig bescheidene Summen.

Was hat die Corona Zeit mit Dir gemacht? Welche Auswirkungen hatte das „Nicht kreativ tätig sein können“ auf Deine Persönlichkeit? Oder bist Du im Gegenteil noch kreativer/produktiver geworden?

Schreiben geht ja immer. Allerdings war die Situation am Anfang auch nicht belastend für mich. Ich weiß aber, dass einige Kolleginnen und Kollegen das anders empfunden haben. Und ab Herbst 2020 gab es die Phase, die ich selbst am schwierigsten fand. Da ging es nicht allen meinen Kindern gut. Außerdem kam nach der ersten Hilfsbereitschaft die Hysterie – das Impfgegner-Getöse usw. Auch beruflich waren die Folgen zu Beginn des zweiten Lockdowns spürbarer. Ein bereits geprobtes Theaterstück konnte nicht aufgeführt werden. Das war traurig. Die Lesungen für zwei Bücher, die im Sommer erschienen waren, mussten alle abgesagt werden. Zu der Zeit war ja auch völlig unklar, wie lange es dauern würde, bis ein Impfstoff gefunden ist. Aber produktiv war die Zeit dennoch. Gerade weil keine Reisen möglich und nötig waren. Das raubt sonst immer Energie. Besonders aufgefallen ist mir das, als sich alles wieder halbwegs normalisiert hat. Die ersten längeren Bahnfahrten kamen mir unglaublich anstrengend vor. Und das lag nicht nur am Masketragen.

Hast Du Dich nach beruflichen Alternativen (temporär oder dauerhaft?) umgeschaut? Hattest Du Existenzängste?

Diese Existenzängste begleiten einen als Künstler ja latent immer. Ich schaue mich eigentlich einmal im Jahr nach Alternativen um. Ohne Erfolge. Diese Krisen gehen aber zum Glück vorbei.

Hast Du Dich wertgeschätzt gefühlt?

Nicht mehr oder weniger als sonst.

Welche psychischen und persönlichen Fähigkeiten haben Dir geholfen, dieses Moratorium zu bewältigen?

Als Geschichtenerzähler habe ich vermutlich einfach die Vorstellung, dass es am Ende immer eine Lösung gefunden werden kann. Und in der Fiktion wie im Leben gilt: Solange man handelt und handlungsfähig ist, ist immer auch ein Happy End möglich.

Ist diese Phase für dich vorbei?

Es waren ja viele Phasen. Erster Lockdown. Zweiter Lockdown. Erster Winter. Zweiter Winter. Impfkampagne. Usw. Und ja, mein Stand der Dinge: Die Corona-Pandemie ist vorbei.

Was hat sich in Deinem Selbstverständnis geändert?

Ich habe das Gefühl, dass der Schock über den plötzlichen Ausnahmezustand generell bei uns allen etwas verändert hat. Der Lauf der Dinge scheint noch weniger vorhersehbar. Negativ betrachtet, heißt das: Wirklich nichts mehr ist in Stein gemeißelt. Positiv besehen, heißt das: Es gibt immer Hoffnung, dass aus dem Nichts etwas passiert, das alles ändert.

Was sollte sich bezogen auf Deine existentielle Sicherheit/Sicherung ändern?

Ich glaube, wer als freier Künstler lebt, hat ohnehin eine besondere Mentalität, was diese Dinge angeht. Man weiß es ja: Das ist kein Beamtentum. Natürlich, wenn möglich, wäre es immer schön, Rücklagen bilden zu können. Hat aber auch vor Corona schon nicht geklappt.

Wie schaust Du in Deine Zukunft, hast Du Dich auf ein erneutes eventuelles Runterfahren kultureller Aktivitäten/ Auftrittsmöglichkeiten vorbereitet?

Nein.

Interview: KP Flügel/ Foto: a_mo

Biografische Angaben:

Nils Mohl, geboren 1971 in Hamburg. Er schreibt Romane und Lyrik, hat u.a. den Deutschen Jugendliteraturpreis gewonnen und auch sein aktueller Roman „Henny & Ponger“ ist 2023 wieder für diese Auszeichnung nominiert. Außerdem war er bislang an zwei Kinofilmen als Drehbuchautor beteiligt. Er ist Mitglied der Deutschen Filmakademie. Seit 2020 veröffentlicht Nils Mohl jeden Montag ein Gedicht auf Instagram. Und was Wikipedia ebenfalls nicht weiß: Er besitzt eine Dauerkarte für die Hamburg Towers und einen Campingwagen auf der Nordseeinsel Amrum.