Werden Geschlechterrollen von Graffiti und Street Art beeinflusst?

Foto: Henning Hoppe

Sie beschäftigen sich u.a. mit der Frage, „wie Graffiti und Street Art von Geschlechterrollen beeinflusst werden und ob sie traditionelle Machtverhältnisse und Stereotype im Kunstbereich reproduzieren.“ Eigentlich sollte doch gerade eine Kunstform, die sich illegaler Methoden bedient hat, genau das nicht tun. Können Sie den Widerspruch auflösen bzw. erklären?

Vereinfacht gesagt: Subkultur schützt nicht vor Diskriminierung! Auch wenn gesellschaftliche Regeln und soziale Normen durch die illegale Praxis außer Kraft gesetzt erscheinen, oder bewusst gebrochen werden, gilt das nicht zwingend für die Geschlechterrollen. Vererbt und anerzogen nehmen wir sie doch überall hin mit, so auch in die urbane Kunst und Kultur. Auf der Straße ist das nicht sichtbar: Es ist meistens nicht möglich, allein anhand der Bilder und Schriften die Geschlechter zu unterscheiden, außer es geht um dezidiert aktivistische Inhalte, wie bei den Guerilla Girls, die ja auch Teil der Ausstellung sind. Sie und andere nutzen insbesondere die Mittel der Street Art, um auf Diskriminierung aufmerksam zu machen. Das kenne ich auch aus Berlin, wo es Anti-Lookism Kampagnen (Diskriminierung aufgrund der äußeren Erscheinung) gab, feministische Sticker Aktionen gegen sexistische Werbung oder queeren Aktivismus.

Die zunehmende Forschung auf dem Gebiet sowie die Institutionalisierung durch legale Wandmalerei (Murals) haben darüber hinaus vermehrt Einblick in die verschiedenen Szenen und ihre Produktionsbedingungen ermöglicht. Dafür gibt es unterschiedliche Ansätze, wie z.B. teilnehmende Beobachtung oder die Analyse von szenenahen Büchern, Magazinen, Filmen oder Social Media; also wie präsentieren sich die Akteure selbst, welche Narrative verfolgen sie. Dabei ist deutlich geworden, dass insbesondere die Graffiti-Welt sich dezidiert, männlich und heterosexuell inszeniert, während man dies bei der Renaissance der Street Art nach dem Millennium so nicht beobachten konnte. Es war vielmehr die Graffiti-Szene, welche sie als schwach und somit „verweiblicht“ verunglimpfte, da die Arbeitsweisen weniger gefährlich und insgesamt gefälliger sind.

Doch ist ebenso deutlich geworden, dass die Street Art Welt sich zwar nicht ‚männlich‘ inszeniert, aber sehr wohl mehrheitlich von Männern gestaltet wird, wie die restliche Kunstwelt auch. Es gibt mehr männliche Künstler, die zudem kommerziell erfolgreicher sind; hinzu kamen weitere wichtige Arbeitsfelder, wie Kuratoren/Galeristen, Blogger/Autoren, Herausgeber oder Fotografen, von denen die meisten (weiße, heterosexuelle) Männer sind, die wiederum als Gatekeeper fungieren, also Einfluss darauf haben, was und wer erfolgreich ist.

In der Programmankündigung heißt es weiter, dass diese Kunstform „zur Konstruktion von Männlichkeit beitragen kann“. Welche Art von Männlichkeit meinen Sie? Den Machostyle, den wir im Hip Hop sehen können?

Das ist in jedem Fall ein starkes rolemodel, vor allem die attitude des Gangsters; der ebenfalls dazu gehörige Glamour, Schmuck und Markenklamotten sind – soweit ich das überblicke – allerdings nicht so wichtig. Die Forschung auf diesem Gebiet meint außerdem nicht ein spezifisches Männerbild, sondern vielmehr die verschiedenen Facetten, wie Männlichkeit durch Graffiti konstruiert wird, und welche Ausschlüsse dadurch entstehen. Dazu kann ein stark sexualisiertes Bild von Frauen gehören sowie der alte kunsthistorische Topos des Mediums der Malerei als schöpferischem Geschlechtsakt, in dem der Pinsel (i.e. Spraydose) mit dem Penis assoziiert wird; der Akt des Malens sich überhaupt erst durch das erotische Begehren des aktiven Mannes auf der passiven/weiblichen Leinwand erfüllt.

Hinzu kommt eine geschlechtsspezifische Normierung, die sich auf eine entsprechende Erziehung zurückführen lässt: also Mädchen sind häuslich und machen sich hübsch; während die Jungs das Abenteuer suchen. Dazu werden bestimmte Geschlechtsstereotype aktiviert und ständig wiederholt, wie Risikobereitschaft, Abenteuerlust, Kriminalität, Schmutz, Belastbarkeit, Mut und Stärke. Diese mit Männlichkeit assoziierten Attribute werden innerhalb der Szene durch fame und respect bestätigt und aufgewertet. Die Illegalität dient darüber hinaus der Akzeptanz in der Subkultur; die kriegerische Sprache, wie bombing, ist ebenfalls männlich konnotiert. Writer befinden sich zumeist in einem aktiven Konflikt mit der Polizei und fassen ihre Aktionen häufig eher als Kampf statt als künstlerische Tätigkeit auf. Wie viele andere Subkulturen lehnt sich Graffiti gegen Konventionen auf, aber nicht gegenüber dem traditionellen Rollenmodell. Im Gegenteil es finden sich immer wieder Penetrationsfantasien, die auf die Stadt als Ganzes zielen; die Vorbilder dafür reichen bis in die Antike zurück, da man sich Städte als weibliche Allegorien vorstellte, die durch männliche Kriegsherren erobert wurden. Es gibt also unterschiedliche Motive von Männlichkeit zu beobachten, einerseits im Handeln, andererseits im Narrativ über das Malen bzw. Sprayen.

Gibt es aus Ihrer Sicht funktionierende Strategien von Frauen, sich in dieser männlich dominierten Szene durchzusetzen?

Eine der frühesten Quellen, die über Graffiti in New York berichten, ist der Artikel in der NY Times von 1971, der doch einige Writerinnen benennt, d.h. dass zu Beginn es noch gar nicht so männlich dominiert war. Es hat sich dazu entwickelt, zumal gerade in New York, dann hauptsächlich auf Zügen gesprayt wurde, was bis heute sehr gefährlich ist und auch eine bestimmte Physis erfordert. Die Crews sind zumeist männlich und gehen ganz unterschiedlich damit um, inwieweit sie Frauen nicht nur als Freundinnen zulassen, sondern auch als Künstler:innen. Es gibt einige Studien, die gezeigt haben, dass es eine klar männliche und heterosexuelle dominierte Kultur ist, in der Frauen immer nur Ausnahmen sind; es sei denn sie gründen Female Crews oder arbeiten allein. Allerdings zeigen die jüngsten Forschungen, dass die Anzahl der Female Writers in den letzten 10-15 Jahren international deutlich gestiegen ist und sie auch wesentlich selbstbewusster auftreten. Ich denke hierbei an die Kampagne Verlass deinen Freund oder der monumentale blaue Penis auf dem Mural von Carolina Fakholt, beide in Stockholm; die weltweite Praxis von Utah, sehr gut auf Instagram zu verfolgen, oder der Film Girlpower von Sany, die ihr bürgerliches Leben für Graffiti hinter sich lässt.

Im Bereich der Street Art scheint es von Beginn an mehr Frauen gegeben zu haben, wobei sich das nicht belegen lässt. Heutzutage ist es vornehmlich die legale Wandmalerei, mit der viele ihren Lebensunterhalt bestreiten, ohne in Konflikt mit dem Gesetz zu geraten. Das Malen dieser monumentalen Bilder erfordert dennoch Kraft und man sollte keine Höhenangst haben. Hierbei ist es einigen Frauen gelungen, sich eine professionelle Karriere aufzubauen, wenn gleich sie nach wie vor in der Minderheit sind. Die einzige Strategie, die ich dabei beobachten konnte, war allerdings nur, sich nicht beirren zu lassen, und Neigung und Talent zu folgen.

 

http://ku-linz.at/kunstwissenschaft/hoppe