„Wir zeigen unser Leben durch die Kunst“

Probenbesuch im Thalia in der Gaußstraße – am 6. April 2023 ist Premiere von Heimatversuche 3. Sophie Pahlke Luz, Mohammed Ziko Ghunaim, O-Young Kwon und Shahin Sheikho treffen sich zur Konzeptionsbesprechung für das weitere Vorgehen. Am 6. April findet die Premiere zur 3. Folge von „Heimatversuche“ statt. KP Flügel stellte die Fragen und notierte die Antworten.

Wer sind die Akteurinnen und Akteure?

Sophie Pahlke Luz, Regie: „In unterschiedlichen Heimatversuchen habe ich verschiedene Rollen gehabt. Bei Heimatversuche Balloon habe ich als künstlerische Mitarbeiterin Shahin Sheikho als Regisseur unterstützt, das Stück auf die Bühne zu bringen. Beim nächsten Heimatversuch Menschen werde ich mit O-Young zusammen einen Abend kreieren und die Regie machen.

Der eigentliche Beginn der Zusammenarbeit mit dem Thalia Theater war in der Embassy of Hope vor vielen Jahren. Ziko hatte beschlossen, dass es eben nicht nur ein Ort der Gesprächsrunden und der Begegnungsrunden sein soll, wo man Sprachen lernen und Rechtsberatung bekommen kann, sondern es soll auch ein Ort sein und werden, wo Kunst gemacht wird, wo unterschiedlichste Menschen zusammenkommen und überlegen können, ob sie und was sie auf die Bühne bringen wollen. Wir haben eine Reihe entwickelt, die hieß „Stimmen aus dem Exil“. Da habe ich auch Shahin kennengelernt. Wir haben acht Folgen gemacht. Aus dieser intensiven Zusammenarbeit heraus haben wir ein Kollektiv gegründet mit den Künstlerinnen und Künstlern, die immer wieder dabei waren, die Lust hatten weiterzuwachsen, zusammenzuwachsen. Daraus ist der erste Heimatversuch entstanden.

Für unsere Identität und für unseren Weg als Kollektiv und als Künstlerin war es ein wichtiger Moment, als unser Fotograf von uns das erste Mal Portraits gemacht hat. Da fühlten wir uns wertgeschätzt und haben gefühlt, wir sind eine Gruppe. Das fand ich total wichtig für unsere Identität als Kollektiv und als Künstlerin, so eingerahmt zu werden. Dadurch haben wir eine visuelle Identität bekommen. Für uns ein Schritt in die Professionalität.“

O-Young Kwon, freiberuflicher Dokumentarfotograf. „Es hat alles damit angefangen, dass ich für die Recherche zu Beginn des Krieges in die Ukraine gereist bin. Ich habe nicht nur fotografiert, sondern Videos und Gesprächsaufnahmen gemacht. So trage ich jetzt zu dem aktuellen Projekt Heimatversuche III mit diesem Material bei. Es geht um den Krieg in der Ukraine und besonders um die Menschen, was sie alles durchmachen müssen. Da lassen wir die Menschen selbst reden, weil es das Originalmaterial zu hören und zu sehen gibt. Das dokumentarische Material ist die Grundlage, aus der heraus wir versuchen, einen Theater-Abend auf die Bühne zu bringen.

Bei vielen Künstlern hatte die Zeit der Pandemie neue Gedanken und neue Energien freigesetzt. Bei mir war das halt genauso, dass ich mich an ein Projekt getraut habe, was ich davor nie verwirklicht habe, aber was immer so in meinem Kopf herumgeschwirrt ist, nämlich ein Buch zu machen, was aus vielen Geschichten bestehen sollte, die mir wichtig waren. Es sollte unter dem Thema Hoffnung alles passieren. Das heißt Fotos sollten mit echten Geschichten verbunden werden. Ich hatte den Kontakt zu Ziko bekommen, weil ich auch eine Geschichte über Geflüchtete aus dem Nahen Osten gemacht hatte. Ich dachte daran, dass Ziko mir eine Geschichte über sein Zuhause oder seinen Weg hierher schreiben könnte. Ziko hat mich dann in die Stimmen des Exils mit hineingenommen. Ich habe gemerkt, dass hier der viel Energie da ist, um Neues zu entwickeln.“

Bei uns gibt es die Menschen mit ihren Basisdisziplinen und Kompetenzen. Durch die Mitarbeit und die Offenheit zu experimentieren, steht dann auf einmal der Autor auf der Bühne und spielt oder der Fotograf, so wie ich es war, hat jetzt sein erstes Theater-Skript geschrieben. So entstehen Sachen, an die man gar nicht gedacht hätte.

Shahin Sheikho, Dichter, Künstler und Schauspieler: „Ich arbeite in verschiedenen Kunstrahmen. Ich schreibe auch manchmal meine Gedichte und Stücke. Als wir angefangen haben, ging es um den arabischen Frühling. Schnell haben wir gemerkt, dass es nicht nur um diesen geht. Es geht auch darum, was wir hier erleben. Eigentlich ist es Kunst, aber es ist mehr. Damit will ich sagen: Wir zeigen unser Leben durch die Kunst. Aber es ist nicht nur Theater. Beim nächsten Projekt sind es die Stimmen der betroffenen Menschen in der Ukraine. Das wird auf der Bühne, aber auch im Original-Ton seh- und hörbar sein.  Wir zeigen einen Krieg und dass am Ende Menschen sterben. Die Folgen des Krieges sind nicht nur körperlicher Natur, sondern können auch psychische Schäden bei Kindern und Erwachsenen verursachen – sowohl bei Kämpfern als auch bei Nicht-Kombattanten. Das kann man nicht spielen, nicht verkaufen. In der Ukraine sterben Menschen. Aber Russland macht einen Krieg seit 12 Jahren. Alle sehen das. Darum geht es bei Heimatversuche.

Durch die enge Zusammenarbeit seit vier, fünf Jahren teilen wir unser Leben und unsere Erfahrungen.

Mohammed Ziko Ghunaim, Diversitätsreferent, Journalist, Regie: „Ich bin seit sieben Jahren als Künstlerischer Leiter der Embassy of Hope tätig und seit 2021 als Referent für Diversität für das gesamte Thalia Theater verantwortlich. Mit Sophie arbeite ich zusammen. Es geht um mehr Teilhabe am Theater von Künstlerinnen und Künstlern, ihnen einen Space zu geben und auch darum, Diverses auf die Bühne zu bringen. Vieles haben wir schon geschafft. Nun sind wir an dem Punkt, etwas nach Größeres zu machen, dazu gehört der Struggle, Geld für unsere Produktionen zu bekommen. Das ist wichtig, um auf Augenhöhe arbeiten zu können. Unsere Arbeit bei Heimatversuche ist das Darstellen von traumatischen Erlebnissen. Es sind schwierige Themen. Es geht um einen transkulturellen Austausch. Es ist eine Recherchearbeit, ein kreatives miteinander Umgehen. Wir machen das ohne wissenschaftliche Begleitung, obwohl das, was wir machen, an Hochschulen studiert werden kann. Shahin und ich kennen uns aus der syrischen Diaspora und den verschiedenen Versuchen, hier in Deutschland uns eine Heimat zu schaffen.

Bei uns im Kollektiv gibt es Schauspieler, Regisseure, Autoren, Fotografen, Musiker, Tänzer. Wir haben ein riesiges Ensemble.

Was bedeutet der Begriff der Heimat und des Exils für euch? Bei der studentischen 68er- Generation ist er ja eher verpönt gewesen. Und jetzt setzt ihr euch mit dem Begriff von Heimat auseinander……

O-Young Kwon Heimat, der Begriff definiert ein bisschen, wer wir sind. Die Heimat prägt einen. Man verbindet mit der Heimat das vergangene, aber auch das, was heute ist, weil dieser Begriff ist nicht irgendwie an/mit einem Ort zwangsläufig verbunden, sondern es ist mehr, sozusagen ein Gefühl.

Shahin Sheikho So lässt sich dieser Begriff sehr, sehr dehnen. Es ist nicht nur ein Ort oder meine Wohnung, es sind meine Erinnerungen. Eigentlich würde ich sagen, dass meine Heimat zur Zeit dieser Platz ist, wo ich sitze. Das ist meine Heimat. Oder eine mögliche Heimat ist vielleicht die, die neue Generationen von uns schaffen, oder das, was von meiner Heimat geblieben ist. Meine Oma, sie ist noch immer dort seit 80 Jahren, wo ich meine Kindheit verbracht habe.  Ich war und bin noch jung, aber immer das Kriegstrauma, das ist geblieben. Das alles trifft sich mit meiner Kunst, mit Liebe, mit meinem Leben, was ich mache. Das ist das Thema jetzt. Ich versuche als Künstler manchmal von dem Thema “Heimat” wegzugehen. Ich bin aber verantwortlich als Künstler das weiterzugeben und zu vermitteln, was ich an Erfahrung gesammelt habe. Ich habe gesehen, das Thema wird sehr benutzt als Geflüchtete, als MIT Fluchtgeschichte, als Migrant und als Mensch mit vielen Sachen (Identitäten), und das sind auch mein (Heimaten) Themen.

Sophie Pahlke Luz: Damit beschäftigen wir uns auch sehr oft und hinterfragen auch genau diese Schubladen, diese Stereotypen. Unser Kollektiv heißt ja auch Kollektiv. Oft sträuben wir uns auch, uns zu beschreiben oder zu erzählen, was wir machen, weil wir eben so viel machen und weil Heimat subjektiv ist und man vielleicht sich auch je nachdem, an welchem Tag man über Heimat nachdenkt, unterschiedliche Gefühle hat oder unterschiedliche Bilder im Kopf hat. Und deswegen haben wir eben auch diese Reihe Heimatversuche genannt und wir haben ja auch unterschiedliche Autoren, die wir befragen, denen wir zuhören, die wir auf die Bühne bringen, um zu schauen, was sagt derjenige über Heimat und mischen das dann mit eigenen Texten. Das war bei Balloon so. Da hat sich Shahin intensiv auseinandergesetzt mit einer Autorenstimme. Jetzt in der nächsten Folge war O-Young Kwon in der Ukraine und hat dort Menschen kennengelernt und deren Geschichten.  Wir versuchen dann eben manchmal, nicht zu urteilen oder nicht mit dem Zeigefinger auf etwas zu zeigen, sondern hinzuhören und es tief und intensiv, bis manchmal die Traumata deutlich werden, zu bearbeiten.

Interview und Fotos: KP Flügel