Nathalie Davids Film „Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich“ ist eine „Hommage an den Utopisten“

Nathalie David befasst sich in ihrem Film „Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich“ mit Leben und Werk des schweizerischen Künstlers. Angeregt durch den Produzenten Peter Spoerri. Die Auseinandersetzungen um Naegeli hatte er von Anbeginn an verfolgt. Nathalie David übergab er eine umfassende Dokumentation mit Zeitungsartikeln.

KP Flügel von der Stiftung wissensART und Lukas Grellmann vom Urban Art Institute führten am 28.11.2023 ein Gespräch mit Nathalie David über Ihre Arbeit mit Harald Naegeli.

„Um 3 Uhr morgens hat der Tod an seinen Knochen gerüttelt“

„Ich habe zwei Jahre vergeblich probiert, mich mit Naegeli zu treffen“, sagt die Filmemacherin. Erst als sie ihm einen handschriftlichen Brief sendet, reagiert Naegeli. „Er teilte mir mit, er habe Krebs, noch drei Monate zu leben und sei für einen Film nicht bereit. Weil er ein schlauer, alter Mann ist, hat er mich in seinen E-Mail-Verteiler aufgenommen. Irgendwann hat er geschrieben, dass um 3 Uhr morgens der Tod an seinen Knochen gerüttelt hat.“ Von seiner E-Mail berührt, schreibt sie ihm von ihrer Absicht, über ihn als „Utopisten eine Hommage“ realisieren zu wollen.

Der Türöffner war die Zeichnung

Naegeli willigt ein, sie zu treffen. Zuerst will er wissen, ob sie sich überhaupt mit Kunst auskennt. Sie, die u.a. in Nizza an der Villa Arson und in Hamburg an der HfBK Kunst studiert hat, bejaht. Das allein reicht ihm nicht. Ob sie zeichnen könne? „Daraufhin hat er mir ein Blatt Papier gegeben und gesagt, dann können wir uns ja gegenseitig zeichnen. Das haben wir jedes Mal gemacht, bevor wir zu drehen angefangen haben. Der Türöffner war die Zeichnung.“

Das Provokative gehört zu ihm

Hat sie Naegeli als elitär-abgehoben empfunden? „Nein, das Provokative gehört zu ihm. Insofern musste ich das annehmen. Es hat ein paar Leute gegeben, die auch versucht haben, mit ihm zu sprechen, aber es nicht geschafft haben. Naegeli lässt sich von strategischen Kalkülen leiten. Berechnend wie ein Schachspieler, der er ist, weiß er genau, was ihm nützt. Bei mir gab es die Verbindung mit Frankreich, weil er auch in Paris studiert hat und ich aus Frankreich komme. Wir haben sehr viel über französische Kunst, die er mag, gesprochen.“

Nathalie David hätte sich gern die Zelle im Schweizer Hochsicherheitsgefängnis angeschaut, „um zu sehen, was es mit jemandem macht, der nur wegen Graffitis ins Gefängnis gekommen ist und dort mit Menschen konfrontiert war, die Mörder gewesen sind“. Aufgrund der Corona-Pandemie ließ sich der Gefängnis-Dreh nicht realisieren.

Hätte Naegeli auf legalen Wänden gemalt? „Nein!“

Naegelis Arbeiten empfindet Nathalie David zugleich als sehr künstlerisch und sehr politisch. „Kunst muss politisch sein, sonst ist es nur Dekoration, oder? Ich fand seine Haltung gut, weil es nicht nur eine Schmiererei ist, sondern eine politische Wirkung hat. Naegeli arbeitet mit den Gebäuden, hat einen sehr architekturalen Blick und setzt die Figuren in Bezug zu den Umgebungen, sei es ein Briefkasten oder ein Fenster.“

Hätte Naegeli auf legalen Wänden gemalt, die es aber damals gar nicht gab? „Nein!“ ist sich Nathalie David sicher. „Naegeli hat bewusst gesprüht, nicht für sich selbst im Sinne eines myselfs, weil das verboten ist, sondern er hatte wirklich eine Botschaft. Wenn alle Graffiti-Künstler eine Botschaft hätten, vielleicht hätte man mehr Chancen, die Leute zu erreichen, die an der Regierung sind. In den 70er Jahren gab es in Zürich keine Flächen für Graffiti-Sprayer. Zürich ist eine reiche Stadt. Daher war Naegelis Handeln aus der Not heraus erfolgt, weil die Stadt nichts für die junge Kultur machen wollte.“