Kostümbildnerin Sophia Lund fühlte sich abgehängt: „In der Coronazeit wurden Druck und finanzielle Abhängigkeit verschärft“

Als essentielle Eckpunkte für Ihre Identität als Künstlerin nennt Kostümbildnerin Sophia Lund: „Offenes Denken, Beobachtungsgabe, Unabhängigkeitsstreben, Schaffensdrang, Experimentierfreude, Output, Austausch.“

Als der Lockdown verkündet wurde, hatte sie „keine Lust mehr den Kopf weiter hängen zu lassen und die Idee ihrer freien Unabhängigen Solo-Arbeit weiterverfolgt.

Foto: Lucja Romanowska, Interview: KP Flügel

Soforthilfe habe ich in Anspruch genommen. Die Art und Weise habe ich durch die Androhung, sich strafbar zu machen, wenn etwas falsch ausgefüllt wird, als unsicher und nicht vertrauenswürdig empfunden. Das richtige Ausfüllen der Anträge empfand ich als unmöglich, da alles sehr fachfremd und unverständlich war und überhaupt nicht unsere Arbeitsrealität wiedergibt. Denn die Arbeitsrealität von Künstlern ist die der Soloselbständigkeit und der Hybridbeschäftigung. Es herrscht ein ständiger Rechtfertigungsdruck privat und Behörden gegenüber, dass die Arbeit kein Hobby sei und dass es nicht 1:1 ums Geldverdienen (Profit) geht. Besonders was die Zeiteinteilung betrifft. Den Hamburger Liquiditätszuschuss 2020 zu bekommen, war schwierig. Für Künstler gibt es selten Betriebsausgaben. Nicht jeder hat ein Atelier zum Absetzen. Es wäre wichtig gewesen, eine Privatentnahme zu gewähren und den Zuschuss über die 3 Monate hinaus zu verrechnen. Diese Finanzierungen sind an die Kontinuität von Profit und nicht am schaffenden Menschen ausgerichtet. ALG zu beantragen, ist für mich nicht in Frage gekommen, da ich verheiratet bin und finanzielle Unterstützung bekommen habe, was aber nicht der Sinn der Sache ist. Ich möchte finanziell (und künstlerisch) unabhängig sein und stoße da als Frau schon seit Jahren an eine gläserne Decke. In der Coronazeit wurde dieser Druck und diese finanzielle Abhängigkeit verschärft. Auch die Abhängigkeiten von meinen Auftraggebern, also den jeweiligen Theatergruppen, welche mich als Kostümbildnerin beauftragen.

Bist Du mit der Art und Weise, wie die Hilfsmaßnahmen konzipiert und umgesetzt wurden, zufrieden gewesen oder nicht?

Nein, überhaupt nicht. Es gab Barrieren und eine sehr unfreundliche, schon bedrohliche Sprache und die Besonderheiten der speziellen Berufsgruppen – wie zum Beispiel die der Hybridbeschäftigten – waren nicht abgebildet. Was später gut lief, waren die Neustart-Kultur-Gelder, welche an konkrete Projekte anknüpften und im Idealfall öffentlich ausgeschrieben waren, um sich niedrigschwellig mit zu beteiligen und nicht nur über Vitamin B.

Was hat die Corona Zeit mit Dir gemacht? Welche Auswirkungen hatte das „Nicht kreativ tätig sein können“ auf deine Persönlichkeit? Oder bist Du im Gegenteil noch kreativer bzw. produktiver geworden?

Tja ein „nicht kreativ tätig sein können“ gibt es ja nicht. Es gibt halt ein „Keiner sieht dich.“ und Einsamkeit und Zurückgelassenheit. Ich habe mir durch das Synthesizer spielen und Fieldrecordern im Zusammenhang meiner Musikerfreundschaft tontechnische Grundlagen erarbeitet. Das war sehr beruhigend und tröstend, diese technischen Tutorials zu machen und Synthesizer zu spielen. Es gibt da Signalketten und logisch technische Wege zu erkunden im Kontrast zu einer unklaren, sehr bedrückenden Welt, in der es unmöglich ist, eine wohl überlegte Haltung zu haben, jenseits von gesellschaftlichen Bubbles. Denn das gewaltige Krisengeschehen braucht Zeit und viel viele gemeinsame Dialoge, um verstanden und/oder ausgehalten zu werden.

Die ersehnten Klänge der Gruftidisko habe ich mir dann selbst gemacht. Und das Phänomen elektronische Musik entdeckt durch Streaming und Videorecherche diverser Interpreten. Ich habe also über meinen subkulturellen Tellerrand hinaus gelauscht, bin Mitglied geworden im Female:Pressure network und konnte dort meine Klänge teilen und Online-Workshops besuchen. Für ein Theaterstück, das wegen Corona zu einem Hörspiel wurde, habe ich das Sounddesign gemacht mit Honorar. Statt Bühnenbild und Kostüm habe ich nun hörbare Synthesizer-Klang- Landschaften kreiert. Diese Arbeit mit Klängen bietet mir unbegrenzte Möglichkeiten. Es wird losgelegt ohne Budgetgrenzen und Regievorgabe.

Dann gab es viele Fachtreffen und Online-Veranstaltungen des Szenografenbundes und der freien Szene, von Zusammenschlüssen der vereinzelten Kollegenschaft und damit Verstehen und Bearbeiten von strukturellen Situationen unserer Berufe und auch feministische Aspekte fanden Berücksichtigung. Dann bin ich in die Linke eingetreten, um nicht mehr allein passiv den Frust zu haben und unzufrieden sein, sondern es zumindest versuchen, mitzumachen, etwas zu tun. Tja meine Persönlichkeit ist etwas konsequenter geworden. Ich habe einen Weg eingeschlagen, indem ich mich so weit möglich aus Abhängigkeiten löse. Ich verteidige meine Zeit und lasse nicht mehr zu, dass sie verschwendet wird, weil sie billig zu haben war.

In der Coronazeit mussten meine Auftraggeber also die Theater sich finanziell eingrenzen um überhaupt noch weiter machen zu können. Beim Verhandeln wurde mir weniger bezahlte Arbeitszeit für das Projekt zugeteilt. Von mir war da viel Verständnis. Ich hab aber schon blöd geguckt, als da zwei neue, geförderte Elektroautos beim Theater standen. Jetzt hab ich einen Nebenjob als Ordnerin und meine künstlerische Arbeit der Szenografie und Kostümbild um Musikperformances und Sounddesign erweitert.

Hattest Du Existenzängste?

Existenzängste sind ein permanenter, aufdringlicher Begleiter meinerseits. Nicht bezahlt zu werden oder weniger bezahlt zu werden. Konkurrenzdruck, einfach ausgetauscht zu werden, nicht beauftragt zu werden. Der Marktdruck, immer weniger Zeit zu Verfügung haben, Seine Sachen bezahlen, Autoreparatur, Ateliermiete mit Vereinspflichten. Als Künstler so bittstellerisch um Sonderpreise bei Handwerkern und zu werben, ist schei….. Von uns Künstlern werden allerdings Sonderpreise in punkto Honorar gefordert. Leidenschaft und Selbstausbeutung sind mit einkalkuliert.

Hast Du Dich wertgeschätzt gefühlt?

Es ist so traurig, ich habe so viel zu geben und zu liefern, es ist aber nicht in Geldform. Aber die Geldform wird gefordert. Die Geldform zählt. Das ist die alles umfassende Bemessung unserer Welt. Dann die Sache mit der Lebenszeit im Vergleich zur Arbeitszeit. Wer nimmt sich wie meine Zeit? Ich habe mich nicht wertgeschätzt gefühlt und habe mich deswegen auf den Weg gemacht.

Biografische Angaben:
Sophia Lund studierte erfolgreich Theaterfilmdesign an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam, sowie Kostümdesign an der HAW Hamburg.

Sie arbeitet seit 2012 als selbständige Szenographin und Kostümbildnerin in der freien Theater und Kunstszene, für Musikvideo Produktionen, sowie Independentfilmproduktionen.
Seit 2019 spielt Sophia Lund Synthesizer und produziert, editiert und performt experimentelle Klänge,Synthesizer Sounds und Fieldrecordings.