Systemcheck, ein Forschungsprojekt des Bundesverbandes Freie Darstellende Künste (BFDK)

In den letzen zwei Jahren hat der Bundesverband die Arbeitsbedingungen und insbesondere die soziale Absicherung von Solo-Selbstständigen und Hybriderwerbstätigen in den darstellenden Künsten untersucht.

Nach BFDK bedeutet für die Mehrzahl der Akteur*innen in der Kunst- und Kulturwirtschaft die Freiheit, unabhängig künstlerisch zu arbeiten, auch: einen Mangel an sozialer Absicherung, etwa bei Krankheit, Arbeitslosigkeit oder im Alter. Das Hauptanliegen von „Systemcheck“ ist daher die Verbesserung der sozialen Absicherung für freischaffende Akteur*innen der darstellenden Künste.

Foto: Jörg Metzner/ Das Interview mit der Projektleiterin des BFDK Cilgia Gadola führte KP Flügel.

Bevor wir auf die Intentionen der Konferenz zu sprechen kommen, mögen Sie den Bundesverband Freie Darstellende Künste und Ihren Aufgabenbereich kurz vorstellen?
Ja, sehr gerne. Der Bundesverband Freie Darstellende Künste (BFDK) wurde 1990 als übergreifende Organisation von 16 Landesverbände der freien darstellenden Künste in Deutschland gegründet. Er ist als Verein organisiert und repräsentiert deren Interessen auf Bundesebene. Zentrale Entscheidungen werden von Entsandten der Landesverbände und dem Verbandsvorstand getroffen. Der BFDK versteht sich als kulturpolitischer Gestalter, Fürsprecher und Wissensvermittler für die freien darstellenden Künste, ihre Institutionen und Akteur*innen.
Ich arbeite als Projektleitung zweier Projekte des BFDK. Eines ist das Forschungsprojekt „Systemcheck“, in dessen Rahmen wir in den letzten zwei Jahren die Arbeitsbedingungen und insbesondere die soziale Absicherung von Solo-Selbstständigen und Hybriderwerbstätigen in den darstellenden Künsten untersucht haben. Das haben wir mit drei Partnern zusammen gemacht: mit dem ensemble-netzwerk, dem Institute for Cultural Governance und dem Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover.

Was waren die Ziele der Konferenz, auf der u.a. verschiedene Studien zur existentiellen Lage der Akteurinnen und Akteure der freien Szene präsentiert wurden?
Auf der dritten und letzten Fachkonferenz am 11. und 12. Oktober 2023 wollten wir am ersten Tag bestimmte Themenkomplexe nochmal vertieft betrachten. Dazu haben wir in Panel-Diskussionen zu Barrieren in den darstellenden Künsten und die Vereinbarkeit mit Familie diskutiert.
Der zweite Tag stand dann ganz im Zeichen des Abschlussberichts und der Veröffentlichung der Handlungsempfehlungen, also unseren Verbesserungsvorschlägen. Ziel war es, diese u.a. mit einer Pressekonferenz, die auch gestreamt wurde, einer großen Öffentlichkeit zu präsentieren und zu diskutieren. Das war der Startschuss der nächsten Arbeitsphase: Die Umsetzung unserer Vorschläge voranzutreiben.

Mögen Sie die Ergebnisse der Studien zusammenfassen?
Gerne. Leider hat sich bestätigt, was wir aus Erfahrungsberichten und langjähriger Begleitung der Akteur*innen in den darstellenden Künsten bereits wussten: Im Durchschnitt verdienen sie zu wenig und es ist aufgrund ihrer Arbeitsrealitäten, in denen sie z. B. oft ihren Erwerbsstatus wechseln, fast unmöglich, sich ausreichend abzusichern.
Um es konkret zu machen: Die durchschnittlichen Netto-Jahreseinkommen betrugen 2021 20.500 Euro. Und das in einem Jahr, in dem durch NeustartKultur so viele Akteur*innen und Arbeitsprozesse wie noch nie gefördert wurden. Die subjektive Rentenerwartung liegt im Durchschnitt bei rund 780 Euro; bei Frauen übrigens nur bei rund 675 Euro, während Männer eine Rente von rund 915 Euro erwarten.
Viele der knapp 900 Umfrageteilnehmenden sind zwar vielseitig versichert, können aber aufgrund ihrer niedrigen Beiträge kaum Versicherungsleistung erwarten. Und dann gibt es Versicherungen wie die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige, die aufgrund ihrer Regelungen aus verschiedenen Gründen alles andere als passend für die Arbeitsrealitäten in den darstellenden Künsten ist.
Auch die Künstlersozialkasse, kurz KSK, die eine wichtige Errungenschaft für Kunst- und Kulturschaffende ist, muss überarbeitet werden, um den sich schon lange wandelnden Arbeitsrealitäten gerecht zu werden. Es gibt andere Länder, die dazu als Good-Practice-Beispiel herhalten können, wie z. B. Belgien.
Das ist jetzt nur ein kleiner Einblick in die Ergebnisse. Eine Zusammenfassung aller Ergebnisse aus Publikationen und Workshops kann in der Abschlussdokumentation nachgelesen werden.

Sie ist online unter diesem Link veröffentlicht worden:

https://darstellende-kuenste.de/projekte/systemcheck

Haben sich die ökonomischen Bedingungen der freien Szene, die sicherlich auch vor der Corona-Pandemie bereits prekär gewesen sind, in den letzten zwei Jahren weiter verschlechtert oder ist es gelungen, deutliche Verbesserungen zu erreichen?
Wie ich grade schon erzählt habe, war das Jahr 2021 paradoxerweise ein gutes Jahr. Denn was auch Grund für die geringen Einkommen ist, sind die vielen Arbeitsphasen, die nach wie vor unentgeltlich durchgeführt werden. Dazu gehört bspw. das Konzipieren, also das Ausdenken von Projektideen, die Antragsstellung, Recherchen dazu oder schlicht und ergreifend das Training oder Üben von künstlerischen Fähigkeiten. Aber da diese nun nicht oder zu wenig fortgesetzt werden und noch dazu Kulturetats, wie z. B. in Nordrhein-Westfalen gekürzt werden, verschärft die Situation. Denn wie auch schon angemerkt, sind die sozialen Sicherungssysteme so starr ausgerichtet, dass bei untypischen Einkommensausfällen wie während der Coronapandemie, die Rücklagen aufgebraucht werden müssen, die vielleicht fürs Alter angelegt wurden.

Während der Corona-Pandemie ist über die Absicherung der Künstlerinnen und Künstler wahrnehmbar gestritten worden. Stimmt der Eindruck, dass die Diskussionen über ökonomische Absicherungen in letzter Zeit eher aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten sind?
Ich glaube bisher wurde es einfach nicht deutlich genug, wie in den darstellenden Künsten gearbeitet wird, insbesondere in den freien. Was es braucht, bis eine Produktion auf der Bühne steht, was dem voran geht und wie fluide künstlerische und sogenannte nicht-künstlerische Tätigkeiten sind, dass diese z. B. innerhalb einer Produktion mehrfach wechseln und feste Zuordnungen keinen Sinn machen. Oder auch, dass der Erwerbsstatus an einem Tag mehrfach wechseln kann und dass aus diesen Gründen Solo-Selbstständige und Hybriderwerbstätige durch die Sicherungsnetze fallen. Erst, als Programme entwickelt wurden, die den in der Kunst Tätigen helfen sollten, wurde klar, dass es an manchen Stellen Wissenslücken gibt und Anpassungsbedarf herrscht. Das Interesse scheint zuvor nur dem schönen Theaterabend gegolten zu haben und nicht so sehr, wie er entsteht, unter welchen Bedingungen er entsteht.
Welches sind Ihre Schlussfolgerungen bzw. Forderungen an Politik und Gesellschaft?
Im Forschungsteam von „Systemcheck“ haben wir in einem partizipativen Prozess mit Akteur*innen, Interessenverbänden und dem Projektbeirat elf Handlungsempfehlungen formuliert. Diese sind sechs Themen zugeordnet. Diese umfassen die Einkommen, die dringend erhöht und transparent gestaltet werden müssen, die Erweiterung in zweierlei Hinsicht der KSK, die für viele drohende Altersarmut, die es abzuwenden gilt, passende bzw. angepasste Systeme, mit denen sich Solo-Selbstständige und Hybriderwerbstätige in den darstellenden Künsten für Einkommensausfälle absichern können, die Unfallversicherung und ein besserer Schutz für Eltern, Erziehungsberechtigte und Schwangere.
Darüber hinaus haben wir sieben Handlungsoptionen formuliert. Optionen, weil sie sich nicht direkt auf die sozialen Sicherungssysteme beziehen. Sie sind deshalb aber nicht weniger wichtig, vor allem weil es sich bei einigen um Querschnittsthemen handelt, wie Barriereabbau und Qualifizierung.

Alle 18 Forderungen sind auch in der oben erwähnten Abschlussdokumentation oder im kompakteren im Policy Paper nachlesbar. Das Policy Paper ist digital unter diesem Link abrufbar:

https://darstellende-kuenste.de/sites/default/files/2023-10/BFDK_Systemcheck_Handlungsempfehlungen.pdf

 

Die Fragen stellte KP Flügel